Posse um einen Bahnübergang

Mit dem Bau der schicken Glashäger Straße, die seit der Jahrtausendwende einseitig von der Bahn geplant und realisiert wurde, bekam Reddelich auch einen neuen, „hochmodernen“ Übergang für Fußgänger und Radfahrer. Hochmodern heißt in diesem Fall super sicher, weil der Übergang nur für Teile der Bevölkerung passierbar ist. Die Sicherheitsanlagen sind für Kinderwagen, Fahrräder mit Kinderanhänger, Rollstühle oder Liegefahrräder nur unter Schwierigkeiten oder überhaupt nicht zu bewältigen.

Anfang August 2015 machte die Gemeinde eine entsprechende Eingabe an die DB Netz AG, dem Baulastträger für den Bahnübergang. Der zuständige Sachbearbeiter nahm die Eingabe sehr ernst und organisierte ein Treffen mit allen zuständigen Entscheidungsträgern vor Ort. Ende August trafen sich in Reddelich vier Vertreter verschiedener Abteilungen der Bahn, ein Planungsbüroleiter, eine Sachbearbeiterin vom Bauamt und meine Wenigkeit als Bürgermeister und Betroffener. Die Herren der Bahn reisten extra aus Frankfurt-Oder, Berlin, Hamburg, Bad Kleinen und Güstrow an.

Den Auftakt der Gespräche gaben die Bahnvertreter mit dem Hinweis, dass die Umlaufsperre, wie das Sperrwerk im Bahnjargon heißt, den Normen der Bahn entspricht. Bahnnormen werden, nach Rechtsauffassung ihrer Repräsentanten, auch durch ein Gleichstellungsgesetz nicht gebrochen. Ich war in einem Rollstuhl mit elektromechanischer Zugvorrichtung, in Kurzform „Handbike“, zu dem Termin erschienen. Eine Demonstration der Gleisquerung von mir ließ die Diskussion, ob das Problem überhaupt relevant sei, schnell verstummen. Anschließend ging es dann doch um Lösungsansätze.

Die Beteiligten wurden sich schnell einig, dass Optionen wie ersatzloser Rückbau der Anlage, Bau eines Tunnels oder einer Überführung und eine Schrankenanlage keine ernsthafte Diskussionsgrundlage sind. Das Gleiche trifft auch für Empfehlungen zu, wie:

  • Fahrräder mit Anhänger können das Gespann vor Querung trennen,
  • Fahrradgespanne und Rollstühle mit Zugvorrichtung können über den nächsten KFZ-Bahnübergang umgeleitet werden,
  • Kinderwagen können über die Absperrung gehoben werden oder
  • die betroffenen Personen können ja auch zu Hause bleiben.

Im weiteren Gesprächsverlauf stellte sich heraus, dass die Bahn das Problem bereits für sich erkannt und ihre Vorschriften für Neubauten von Umlaufsperren angepasst hat. Diese werden nun um 10 cm aufgeweitet gebaut. Diese Variante ist eine akzeptable Lösung des Problems. Der Vertreter des Planungsbüros wurde beauftragt, eine Kostenschätzung für eine Aufweitung der Umlaufsperre zu erstellen.

Eine kleine Randepisode gab es dort auch. Ein Bahnvertreter konnte nicht an sich halten und bemerkte, dass in der knappen Stunde des Vor-Ort-Termins gerade mal drei Personen den Übergang passiert hatten. Just in dem Moment fuhr ein Zug vorbei – mit zwei Insassen plus Lokführer. Entsprechend sarkastisch fiel meine Replik aus.

Die Vertreter der DB Netz AG verwiesen abschließend auf die Rechtskonformität der Altanlage und sahen keine Handlungsnotwendigkeit. Sie stellten klar, dass ein Verlangen der Gemeinde auf Änderung auch die alleinige Finanzierung durch diese nach sich zieht. Die Gemeinde darf die Anpassung jedoch nicht finanzieren, weil sie damit dritten Eigentum verschafft. Dies verbietet – mit Recht, wie ich meine – die Kommunalverfassung. Also eine klassische Patt-Situation.

Das Planungsbüro arbeitete schnell und bezifferte die Anpassungskosten auf knapp 8.000 €, wobei sich die reinen Baukosten auf rund 5.000?€ belaufen. Der Rest ist für Planung, Baustellensicherung und Dokumentation vorgesehen. Kalkuliert ist auch ein Gewinn für die ausführenden Unternehmen, also auch für die DB Netz AG.

Fazit
Im Zusammenhang mit Fußgängerübergängen fürchtet die DB Netz AG wohl kaum etwas so sehr wie einen Präzedenzfall, der sie zur Anpassung sämtlicher Altübergänge verpflichten würde. Gleichstellung hin oder her, so etwas geht dem Konzern in Staatsbesitz dann doch zu weit. Für Reddelich eine stillschweigende Einzellösung herbeizuführen fehlt der Wille oder die Kompetenz der beteiligten Bahnvertreter. Für die Betroffenen bleiben im Grunde die Optionen:

  • Sie fügen sich dem Status Quo,
  • sie beschreiten den Rechtsweg und strengen eine Klage zur Herstellung der gesetzlich verbrieften Barrierefreiheit an oder
  • sie legen zusammen und stiften der Bahn einen barrierefreien Bahnübergang. Die Stiftungsmittel können ja, zumindest teilweise, durch den Verkauf der Story refinanziert werden. Ich kann mir vorstellen, dass die Schlagzeile »Behinderte Mitmenschen finanzieren ihren Bahnübergang – DB Netz AG macht gute Gewinne!« durchaus von überregionalem Interesse ist.

Auch beschleicht mich ein leiser Verdacht: Mit dem Aufwand hinsichtlich Reise- und Personalkosten für das, letztlich erfolglose, Vor-Ort-Treffen ließe sich das eigentliche Problem locker lösen.
Bestätigt sehe ich auch meine Auffassung, dass der Staat zu Randgruppen der Bevölkerung, wie Kinder und Behinderte sehr freundlich agiert – solange es das Geld anderer kostet. Im dargestellten Fall ist die Rendite des Unternehmens im Staatsbesitz wohl wichtiger, als die Durchsetzung selbst erlassener Gesetze. Der Zyniker in mir sieht das viele schöne Geld der Steuerzahler in Prestigeobjekten für Mondpreise auch viel besser aufgehoben. Flughäfen, Konzertsäle oder Bahnhöfe für Milliarden von Euros mögen ja barrierefrei sein.

Aus Raducle Nr. 23
Ulf Lübs

2015-Bahnübergang
Urlauber beim Versuch den Reddelicher Bahnübergang zu überqueren.